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Titel
Sophie von Erlach. Eine Schweizerin und Preußin


Autor(en)
Klaus, Monica
Erschienen
Köln 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Bauer, Neuere Geschichte, Universität Trier

1846 entschieden sich Augusta und Wilhelm, das nachmalige preußische Königs- und deutsche Kaiserpaar, für Sophie von Erlach als Gouvernante ihrer Tochter Luise. Pädagogische Expertise und Berufserfahrung hatte die 26-Jährige nicht – aber sie war Schweizerin. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Erziehung des protestantischen Fürstennachwuchses bevorzugt in Schweizer Hände gelegt, um den Kindern von klein auf die französische Sprache zu vermitteln.1 Während Prinzenerzieher stets auch anderen Berufen nachgingen und sich als Theologen oder Wissenschaftler publizistisch verewigten, gerieten die meisten Gouvernanten hingegen in Vergessenheit.2

Monica Klaus porträtiert das Leben und Wirken Sophie von Erlachs, geb. von May (1819–1911), wobei ihre Zeit als Gouvernante den inhaltlichen Schwerpunkt bildet. Wie der Untertitel „Eine Schweizerin und Preußin“ bereits andeutet, stammte Sophie aus Neuenburg, Schweizer Kanton und gleichermaßen bis 1848 (de facto) bzw. 1857 (de jure) Fürstentum in Personalunion mit der preußischen Krone. Die Biographie folgt in siebzehn Kapiteln ihrem Werdegang, beginnend mit ihrer Schulzeit im Mädcheninternat Montmirail. Während eines Aufenthalts in Berlin, auf Einladung familiärer Bekanntschaft, gelang es ihr innerhalb kürzester Zeit die Prinzessin von Preußen für sich einzunehmen. Ihre Anstellung als Gouvernante gab Sophie zwar nach lediglich sechs Jahren wieder auf, um Robert von Erlach zu heiraten. Zu Luise, seit 1856 Großherzogin von Baden, hielt sie jedoch lebenslang Kontakt.

In der Einleitung beschreibt die Autorin die Lebensgeschichte Sophie von Erlachs als „Bild einer Frau ihrer Zeit“ (S. 12) sowie als Geschichte einer Freundschaft zweier Frauen. Dieser Ankündigung wird das Werk jedoch nur bedingt gerecht. Zwar bettet Monica Klaus ihre Biographie stets in den tagespolitischen Kontext ein, widmet beispielsweise dem „Neuenburger Konflikt“ ein eigenes Kapitel oder beleuchtet die Revolution von 1848/49 aus der Perspektive der Kinder und ihrer Gouvernante. Doch bleibt viel Potential ungenutzt.

Sophie von Erlach las „aktuelle Bücher zu Erziehung und Unterricht“ (S. 97), wobei als einziges Beispiel François Fénelons 1687 erschienenes „Traktat über die Mädchenerziehung“ erwähnt wird. Sie fand „viele seiner Gedanken zum Umgang mit Kindern […] gut und hilfreich für die Erziehung“ (S. 90) – welche Aspekte sie im Detail teilte oder ablehnte, erfährt die Leserschaft nicht. Die Autorin beschäftigt sich weder im Allgemeinen mit dem Beruf der Gouvernante noch setzt sie sich im Speziellen mit den beruflichen Vorstellungen und Ambitionen ihrer Protagonistin auseinander. Das ist insbesondere deshalb erstaunlich, da Sophie von Erlach ihren Verlobten sechs Jahre lang vertröstete, um ihren Beruf weiterhin ausüben zu können. Ob es sich bei dem vorliegenden Lebensweg also um ein individuelles Einzelschicksal handelt oder ob hier repräsentativ der Werdegang hunderter Schweizer Gouvernanten nachgezeichnet wird, bleibt unklar, da keinerlei historische Einordnung stattfindet.

Die Autorin rekonstruiert das Leben ihrer Protagonistin vor allem anhand ihrer Briefwechsel. Die Auswertung dieses Quellenkorpus folgt jedoch keiner konkreten Fragestellung. So werden die Begebenheiten jedes Jahres strikt chronologisch abgearbeitet und sämtliche in den Briefen vorhandene Anekdoten aufgezählt, wodurch vielmehr der Eindruck eines Ereignisprotokolls entsteht, das durch die Verwendung des Präsens als Zeitform noch verstärkt wird. Das Dargestellte wird nur selten kontextualisiert oder kritisch bewertet, wodurch Leser:innen vielfach mit offenen Fragen zurückgelassen werden.

Die Monographie konzentriert sich nicht ausschließlich auf den Werdegang Sophie von Erlachs, sondern verfolgt darüber hinaus die Lebensläufe zahlreicher Nebencharaktere. Vorgestellt wird beispielsweise Ernst Curtius, der zeitgleich mit Sophie als Erzieher für Luises Bruder Friedrich Wilhelm tätig war und mit dem sie auch nach dem Abschied vom preußischen Hof in freundschaftlicher, später durch die Vermählung ihrer Kinder auch in verwandtschaftlicher Beziehung stand. Weiterhin werden die Familien von Sophie und ihrem Ehemann Robert von Erlach beleuchtet, ebenso wie die preußische Königsfamilie und ihr Hofpersonal. Dabei gerät die Beziehung zwischen Sophie und Luise häufig aus dem Blick, obschon sie laut Einleitung im Mittelpunkt der Publikation stehen sollte. Dem dort formulierten – und äußerst fragwürdigen – Gegensatz zwischen Sophie, die sich „ihrer Bestimmung unterordnen“ musste und Luise, die sich als Großherzogin „verwirklichen“ (S. 12) konnte, wird nur in Ansätzen nachgegangen. Eine systematische Auseinandersetzung und kritische Evaluierung der Möglichkeiten und Grenzen der beiden Frauenbiographien im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Stellungen bleibt aus.

Monica Klaus konnte für ihre Publikation auf einen breiten Quellenfundus zurückgreifen. In der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn lag ihr hierfür in maschinenschriftlicher Abschrift der Nachlass der Familie Curtius vor, im Generallandesarchiv Karlsruhe wiederum die originalen handschriftlichen Briefe aus dem Nachlass der Großherzogin Luise von Baden, größtenteils in französischer Sprache. Sehr bedauerlich ist es, dass die Autorin auf nachweislich gefälschte Briefe und Tagebucheinträge zurückgreift. So bezieht sie sich mehrfach auf die von Richard Kühn 1935 herausgegebene Publikation „Bekenntnisse an eine Freundin“3, die bereits kurz nach ihrem Erscheinen als Fälschung entlarvt wurden.4 Dabei ist Klaus jedoch nur bedingt ein Vorwurf zu machen, da selbst Historiker:innen (Klaus ist Dipl.-Bibliothekarin an der Universitäts- und Landesbibliothek in Bonn i. R.) trotz der gravierenden inhaltlichen Fehler und des untypischen Sprachduktus der „Bekenntnisse“ in der Vergangenheit wiederholt aus diesem Werk zitiert haben.

Es bleibt zu hoffen, dass Monica Klaus die Aufarbeitung dieses umfangreichen Quellenkorpus zukünftig durch eine Edition ergänzt. Die Briefe Sophie von Erlachs bieten nicht nur einen lohnenswerten Einblick in den höfischen Alltag, den Gouvernantenberuf sowie die Möglichkeiten und Grenzen von Handlungsspielräumen adliger Frauen, sondern darüber hinaus eine weibliche Perspektive auf die schweizerisch-preußische Geschichte im 19. Jahrhundert.

Anmerkungen:
1 Irene Hardach-Pinke, Weibliche Bildung und weiblicher Beruf. Gouvernanten im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), S. 507–525, hier S. 517. Neben der Konfession trugen auch die Koalitionskriege dazu bei, an deutschen Höfen für die Position der Gouvernante Schweizerinnen Französinnen vorzuziehen.
2 Der Erzieher von Luises Bruder Friedrich Wilhelm (dem nachmaligen Kaiser Friedrich III.) war der Neuenburger Theologe Frédéric Godet. Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde wiederum durch den Genfer Numismatiker Frédéric Soret erzogen. Über die Gouvernanten am preußischen (Eusébie-Jaqueline Godet, Madame Vautravers) wie am sachsen-weimar-eisenacher (Espérance Sylvestre, Auguste Pallard) Hof ist nur wenig bekannt.
3 Richard Kühn (Hrsg.), Königin Augusta von Preußen. Bekenntnisse an eine Freundin. Aufzeichnungen aus ihrer Freundschaft mit Jenny von Gustedt, Dresden 1935.
4 Vgl. hierzu die Rezension der Publikation in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 48 (1936), S. 217f. Sowie weiterhin: Heinz Bosbach, Fürst Bismarck und die Kaiserin Augusta, Köln 1936, S. 72–76; Marie von Bunsen, Kaiserin Augusta, Berlin 1940, S. 9.

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